April 2006, Norbert

( Bericht in der Heidenheimer Neuen Woche)

Nach Tagen meditativen Wanderns und Reitens entdecken wir am Horizont einen breiten, grünen Streifen Die Oase.
Mohammed Ben Marzoug Ben Mabruk, Halbnomade eines Berberstammes, ist ein drahtiger, zäher Bursche. Gelegentlich reitet er auf dem Esel, wenn er lange genug durch den heißen Sand und die steinige Wüste gegangen ist. Stets hat er dabei die 22 Dromedare im Blick, die gemächlich und unaufgeregt des Weges ziehen. Wohin– das wissen nur Mohammed und seine vier Freunde, die der Karawane die Richtung geben. Es geht nach Norden, das erkennen auch die 15 Teilnehmer an der Wüstenwanderung in der tunesischen Sahara.

Der feine Sand ist in den nächsten Tagen ein ständiger Begleiter der bunt gemischten Truppe, die eines Mittwochs bei kühlen Temperaturen auf dem Aquarenaparkplatz startet und sich nach einem Flug nach Djerba ins Abenteuer Wüste aufmacht. Am Flugplatz warten bereits die gecharterten Geländewagen, mit denen die Heidenheimer knapp vier Stunden nach Süden durch die Nacht ins Wüsentlager fahren. Bevor der Schlafsack im Wüstensand ausgerollt wird, gibt es nach der Begrüßung der dunkelhäutigebn Männer, die uns sieben Tage lang begleiten werden, eine heiße Suppe. Das Feuer brennt unter einem prächtigen Sternenhimmel. Mohammed und seine Kollegen haben ihre Trommeln herausgeholt. Sie singen mit heiserer Stimme und unbekannten Liedern die Europäer in den Schlaf. Wie war das damals, als die Karawanen auf der Seidenstraße und anderen, uralten Wegen durch die Wüste zogen? Wie ist das, wenn man die Zivilisation weitgehend hinter sich lässt und sich der Natur ausliefert? Welche Gedanken kommen dem an Lärm und Umtrieb gewöhnten Europäer, wenn er unter sengender Sonne und in völliger Stille auf dem Rücken eines Dromedars durch die Wüst schaukelt? Wie kommt er in dieser außergewöhnlichen Situation mit Menschen zurecht, die er zuvor kaum kannte? Wie schläft man unter freiem Himmel, wohl wissend, dass die Wüste vor allem nachts lebt und allerlei Getier seine Spuren hinterlässt?Über all diesen Gedanken übermannt den Wüstenbesucher der Schlaf und lässt ihn am frühen Morgen erwachen, wenn der Tau das Gesicht benetzt und die Sonne einen ersten, hellen Streifen über den Horizont schickt.

Fremde Stimmen werden laut. Die arabischen Begleiter sind schon längst aktiv. Sie haben ein Feuer entzündet. Ein Brotteig aus Mehl, Wasser und Salz entsteht in einer Blechschüssel. Sobald das Feuer niedergebrannt ist, wird der zu einem Fladen geformte Teig auf den heißen Sand gelegt und mit der Asche bedeckt. Eine halbe Stunde später ist das wagenradgroße Gebäck fertig, wird kurz abgeklopft und in Stücke gebrochen. Eine Kanne bitter schmeckender Tee, nur mit viel Zucker genießbar, und Kaffee stehen bereit. Das Frühstück ist karg und passt zur Landschaft.

Unsere Dromedare sind in alle Winde zerstreut. Man hat ihnen zwar die Vorderbeine zusammengebunden; trotz dieser Behinderung kommen sie im Laufe der Nacht erstaunlich weit. Es dauert eine halbe Stunde, bis die Tiere eingesammelt und eine weitere halbe Stunde, bis sie gesattelt und beladen sind. Wir haben keine Eile, helfen alle beim Zusammenpacken mit und können dieser täglichwiederkehrenden Zeremonie auch einen gewissen Reiz abgewinnen. Was hier geschieht, haben die Teilnehmer an Karawanen vor tausend Jahren wohl genau so gemacht. Wir stellen in den nächsten Tagen fest, dass der routiniert ablaufende Rhythmus der täglichen Handlungen ungemein entspannend und trotzdem immer wieder neu ist.

Rund 80 Kilometer liegen vor uns. Das Ziel ist die Oase Ksar Ghillane, in der es eine heiße Quelle und einen kleinen Badesee geben soll, wie uns versprochen wird. Längst sitzen wir wieder auf dem Dromedar oder gehen zu Fuß, zücken gelegentlich den Fotoapparat und lassen ihn dann schnell wieder im staubsicheren Etui verschwinden. Aber der Sand ist so fein und allüberall, dass doch die eine oder andere Kamera überkurz oder lang ihre Dienste versagt.Wir bewundern Amor, einen unserer Führer. Während wir die leichten Wanderstiefel möglichst selten ausziehen, um nicht aus Versehen auf einen Skorpion oder eine Schlange zu treten, geht der Wüstensohn die ganzen 80 Kilometer barfuß. Amor spricht ganz ordentlich Deutsch. Wenn er nicht gerade eine Karawane begleitet, arbeitet er im Reisebüro in Douz und war auch schon einige Wochen in Deutschland.

Nach gut vier Stunden Tagesmarsch suchen die Beduinen nach einem geeigneten Lagerplatz. Er sollte etwas geschützt in einer Senke liegen und rundumüber genügend Holzvorrat verfügen. Zielsicher wissen sie, welche Stelle dafür in Frage kommt. Das bedeutet: Dromedare durch eine ganz eigene Lautsprache zum Hinsitzen bewegen, Gepäck abladen, das Schatten spendende Beduinenzelt aufbauen, Feuerholz herbeischaffen (Vorsicht beim Sammeln, es könnte ein Skorpion drinsitzen), Gemüse und Obst für den Eintopf oder den Salat schneiden, Brot backen. Und natürlich nach dem literweisen Konsum von ziemlich schrecklich schmeckendem Wasser den ganzen Tag über – genüßlich einen Becher vom mitgebrachten Rotwein trinken.

Die Tage vergehen, die Landschaften wiederholen sich. Wir durchqueren Steinwüsten, mit mehr oder weniger üppigem Bewuchs, sehen uns plötzlich einem kilometerbreiten Streifen puren Sandes gegenüber und sind ständig auf der Suche nach dem idealen Pfad durch die hügelige Wüste. Gelegentlich wird die Stille unterbrochen durch einen Schrei. Jemand hat einen Skorpion weglaufen sehen, entdeckte eine Schlange im Gebüsch oder einen Sandfisch. Immer wieder finden wir Reste von Straußeneierschalen. Ein Beweis dafür, dass hier vor langer Zeit üppiges Leben herrschte. Wenn Wind aufkommt – und das ist häufig der Fall, ziehen wir unseren Chech, einen selbstgebundenen Turban, enger um den Kopf, so dass nur noch die Augen aus der weißen Umhüllung schauen. Unter der Sonne steigen die Temperaturen auf knapp 40 Grad. Wir sehnen uns nach dem nächstenRastplatz, nach Schatten unterm Beduinenzelt, nach Gemüse mit Nudeln oder Couscous und nicht zuletzt nach der allabendlichen, gemütlichen Runde ums Feuer, bei der die immer gleichen Lieder erklingen– unverständliche Worte,Worte, aber mit weltweit demselben Inhalt von verschmähter oder erfüllter Liebe. Hier zeigt sich: Ob Moslems, Christen, Anders- oder Ungläubige, in ihren Wünschen und Sehnsüchten sind sie alle vereint– mit oder ohne Rotwein.

Nach Tagen meditativen Wanderns und Reitens entdecken wir am Horizont einen breiten, grünen Streifen. Die Oase. Der Wind wirbelt den Sand durch die Luft, so dass wir nur schwer abschätzen können, wie weit sie noch entfernt ist. Nach etwa zwei Stunden haben wir das Ziel erreicht. Wir schlagen unseren Lagerplatz am Rand auf. Sechs Tage konnten wir uns nicht waschen und rasieren. Niemand hat sich daran gestört, aber jetzt freuen wir uns auf das versprochene Bad in der warmen Quelle. Die Zivilisation hat uns wieder. Der Parkplatz ist mit 4Wheels sämtlicher Marken vollgestellt, die Stromaggregate dröhnen, Händler wollen ihre Waren verkaufen, Coladosen liegen in den Büschen.

Nachdem uns in der vorletzten Nacht noch ein heftiger Sandsturmüberrascht, der nach zwei Stunden so schnell verschwindet, wie er gekommen ist, werden wir tags darauf zu Mohammeds Verwandten eingeladen. Sie leben die Hälfte des Jahres in ihren Zelten in der Wüste. Unterwegs fangen unsere Beduinen eine kleine Ziege. Sie wird kurze Zeit später vor Ort geschlachtet, enthäutet, ausgenommen und die Inneren auf der Glut gebraten. Dazu gibt es einen Teig aus selbstgebackenem Brot, gemischt mit Datteln und saure Ziegenmilch. Es sei, so hören wir, eine besondere Ehre, zu einem solchen Festmahl eingeladen zu werden. Den Rest der Ziege essen wir noch am selben Abend, ebenfalls auf glühenden Kohlen geröstet.

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Unsere Beduinen-Freunde freuen sich über die mitgebrachten Geschenke. Ein letztes Mal decken wir uns mit dem südlichen Himmel zu und lauschen in die Stille der Nacht, die von keinem Streulicht getrübt wird. In diesem Sand, das wissen wir, haben wir nicht das letzte Mal geschlafen.

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